Jüdisches Leben in Koblenz
und speziell in Arenberg und Immendorf
Inhalt:
1. Geschichte der Koblenzer Juden
2. Die Juden von Arenberg und Immendorf
3. Die Familie Michel aus Immendorf („Die
Mosesjer“)
4. Die Familie Michel aus Arenberg
(„Lepolds“)
5. Die Familie Aron aus Immendorf
1. Geschichte der KoblenzerJuden
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In Koblenz
gab es bereits seit dem 12. Jh. eine jüdische Gemeinde, die aber im Laufe der
Jahrhunderte mehrfach aufgelöst und neu gegründet wurde. Gründe für die Auflösungen waren
entweder der Entzug von Schutzbriefen, einer Art Aufenthaltserlaubnis, oder
Pogrome, die teils örtliche, teils regionale Ursachen hatten, z. B.:
1287/88 – ungerechtfertigter Vorwurf der Schuld am Tod Werners von Oberwesel
1336-1338 – Armlederpogrome, die z. Z. Erzbischof Balduin von Luxemburgs hauptsächlich
seitens der Ritterschaft den Juden das Leben extrem schwer, wenn nicht gar
unmöglich machten
1349 – Verfolgung wg. vermeintlicher Schuld an einer Pestepidemie
1419 – Entzug des Schutzes durch Erzbischof Otto von Ziegenhain. Er zog alle
Schuldscheine jüdischer Gläubiger ein, gab sie zum Nennwert an die Schuldner
zurück und verwendete das vereinnahmte Geld für seine eigenen Zwecke. Den jüdischen
Friedhof schändete er, indem er ihn als Lehen vergab (der Hanna-Grabstein in
der Koblenzer Liebfrauenkirche zeugt davon).
Neu gegründet wurde die jüdische
Gemeinde immer dann, wenn es dem jeweiligen Landesherrn, dem Trierer
Kurfürsten, passte. Das war in der Regel dann der Fall, wenn er in Geldnöten war und auf
die Juden als Geldverleiher und Steuerzahler für erhöhte Abgaben hoffte.
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Seit 1618 gab es eine Judenordnung, die die Zahl der Juden im Trierer Kurstaat auf 165
Familien festlegte, d. h., in Koblenz wohnten danach 30 bis 35 jüdische
Familien.
Die kurtrierische Judenordnung verlangte von den Betroffenen ein Mindestvermögen und hohe
Abgaben. Sie engte darüber hinaus die beruflichen Tätigkeiten weitgehend auf die Gewerbe der Händler und
Geldverleiher ein. Die Juden mussten sich mit ihren Wohnungen auf die Rheingasse (später
Judengasse, heute Münzstraße), wo auch die Synagoge stand, sowie die Görgen-
und Pfuhlgasse konzentrieren.
- Erst die französische Herrschaft brachte um 1800 im linksrheinischen Koblenz - rein formal - die Emanzipation der Juden, unterschwellig gab es aber immer noch einen latenten Antisemitismus, der sich in Theaterstücken, der Presse und auch im politischen und gesellschaftlichen Umgang miteinander zeigte.
- Im rechtsrheinischen, ehemals nassau-weilburgischen Gebiet, erhielten Juden am 23.07.1845 durch die neue Preußische Gemeindeordnung das Bürgerrecht.
- 1850 erwarb die jüdische Kultusgememeinde Koblenz den Bürresheimer Hof am Florinsmarkt und baute ihn zu ihrer neuen Synagoge um, die 1851 eingeweiht wurde. Die Kultusgemeinde galt in dieser Zeit als eher reformiert und bürgerlich geprägt. Es gab einige fördernde Mitglieder, die es ermöglichten, eine Orgel für feierliche Gottesdienste einzubauen. Diese wurden auch mit Chorgesang, manchmal verstärkt durch Sängerinnen und Sänger des Theaterchores, zelebriert.
- Ab 1869 waren die Juden in Preußen voll emanzipiert.
- Es folgte eine mehr oder weniger ruhige Zeit, in der sich in Koblenz größere jüdische Firmen niederlassen konnten, so z. B. die Papierfabrik Mayer-Alberti (heute Kulturfabrik), das Warenhaus Tietz (heute Kaufhof) oder das Bankhaus Seligmann in der Neustadt, das 1932 in Konkurs ging.
- Juden konnten Vereine gründen, belebten die Kultur in Koblenz, betrieben Ladengeschäfte, übten anspruchsvolle Berufe aus und verteidigten in etlichen Kriegen das Vaterland, ganz wie andere Deutsche auch – bis nach dem 1. Weltkrieg. Da änderte sich langsam die Stimmung wieder und das Elend der Nachkriegszeit brachte langsam nach und nach das alte Gespenst des Judenhasses zurück.
- Es setzte mit der Reichspogromnacht am 09. Nov. 1938, bei der die Synagoge, sowie viele jüdische Häuser zerstört wurden, einen infernalischen Höhepunkt.
- Was folgte ist bekannt: noch mehr Diskriminierung, Ausgrenzung, Entrechtung, Verelendung, Vertreibung und Ermordung nicht nur der deutschen Juden, sondern von 6 Millionen Juden aus ganz Europa.
- Von 1938 bis 1943 wurden die meisten Koblenzer Juden deportiert und ermordet. Lebten 1939 noch etwa 353 Juden in Koblenz, waren es 1946 noch ganze 23.
- Dank des Engagements einiger Juden, die dem Tod im Konzentrationslager entronnen waren, gibt es seit 1950 wieder eine jüdische Gemeinde in Koblenz. Ihre behelfsmäßige Synagoge steht heute auf dem jüdischen Friedhof in der Schwerzstraße.
- Seit nach dem Fall des Eisernen Vorhanges russische Juden nach Deutschland übersiedeln dürfen, zählt die Gemeinde wieder rd. 1000 Mitglieder.
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Eine neue Synagoge wird z. Z. geplant.
2. Die Juden von Arenberg und Immendorf
- Die älteste hier nachweisbare Spur jüdischen Lebens findet sich im Arenberger Taufbuch aus dem Jahr 1773, als zwei jüdische Jungen aus Immendorf - der 16-jährige Raphael und sein 14-jähriger Bruder Isaak Herschbach - zum kath. Glauben übertraten. Dies schien etwas ganz Besonderes gewesen zu sein, denn keine geringeren als der Landesherr höchstpersönlich, Kurfürst Clemens Wenzeslaus, sowie der Sohn seines Kanzlers, Friedrich Josef La Roche, übernahmen die Patenschaften bei der Taufe und gaben den Täuflingen ihre eigenen Vornamen, verbunden mit dem neuen Nachnamen WEIS.
- Erste Schutzbriefe für die Niederlassung von Juden im Bereich der Herrschaft Mühlenbach, zu der auch Arenberg und Immendorf gehörten, wurden 1784 und 1796 für Immendorf nachgewiesen.
- Nach dem Ende des Trierer Kurstaates fällt die Herrschaft Mühlenbach 1801 nach dem Vertrag von Luneville an das Herzogtum Nassau-Weilburg. Aber auch hier benötigten Juden Schutzbriefe als Aufenthaltserlaubnis. Diese wurden nur erteilt, wenn ein gewisser Besitzstand nachgewiesen werden konnte und sie waren jeweils auf 12 Jahre begrenzt.
- 1808 wurden Arenberg und Immendorf der nassauischen Bürgermeisterei Ehrenbreitstein angegliedert. - In dieser Zeit gab es in Immendorf fünf jüdische Familien mit Schutzbrief.
- Mit dem Wiener Kongress 1815 wurden die Preußen Landesherren. Der Aufenthalt jüdischer Menschen unterlag zunächst auch bei ihnen strengen Regeln. Erst ab 1869 waren die Juden in Preußen voll emanzipiert.
- Bei einer Bestandsaufnahme im Jahr 1823 zählte man in Arenberg und Immendorf 31 jüdische Personen.
- Diese – so wird berichtet – hatten ihre Synagoge in Immendorf mit dem gewählten Vorsteher Hely Baer. Familie Baer wohnte in der heutigen Ringstr. 78. Die kleine Hinterhaussynagoge war offenbar zunächst ihr privates Eigentum.
- Erst im Jahr 1833 gab es eine Übereinkunft der hiesigen jüdischen Familien, diese kleine Synagoge als Versammlungs-, Gebets- und Schulraum gemeinsam zu nutzen. Sie wurde von da an nicht nur gemeinsam (privat) finanziert, sondern auch die Kosten für einen Kantor und einen jüdischen Religionslehrer wurden auf die jüdischen Familien der Gemeinde umgelegt.
- 1835 zählte man in Immendorf 10 jüdische Familien mit 13 Mädchen und 8 Knaben, die in der kleinen Hinterhaus-Synagoge ihren Religionsunterricht erhielten.
- Das streng reglementierte Zuzugsrecht für Juden in der frühen preußischen Zeit sorgte dafür,
dass zwei ohne Schutzbrief bei der Zählung entdeckte Mägde und ein Knecht des Ortes verwiesen werden mussten.
Der Knecht wurde sogar im Koblenzer Arresthaus eingesperrt, da er der Aufforderung,
Immendorf zu verlassen, nicht nachgekommen war.
- Die Immendorfer Juden gehörten ab 1808 bis zum ausgehenden 19. Jh. zur jüdischen Gemeinde der Bürgermeisterei Ehrenbreitstein.
- Als 1851 in Koblenz die neue Synagoge im Bürresheimer Hof am Florinsmarkt eingeweiht wurde, orientierten sich immer mehr Mitglieder der jüdischen Gemeinde Ehrenbreitstein dorthin bis sich die rechtsrheinische Gemeinde schließlich im Jahre 1899 auflöste und ihr Vermögen an die jüdischen Kultusgemeinde in Koblenz übertrug. Dies geschah sicher nicht ganz reibungsfrei, galten doch die Ehrenbreitsteiner Juden als eher orthodox orientiert, die Koblenzer dagegen als eher liberale Gemeinde.
- Die kleine Hinterhaus-Synagoge in Immendorf bestand scheinbar auch in dieser Zeit weiter, denn es gibt Niederschriften über Unstimmigkeiten z. B. darüber, wie der Religionslehrer für jüdische Kinder finanziert werden soll und wer für Reparaturen und Umbauarbeiten an der Synagoge zuständig ist.
- Aber auch ein theologischer Richtungsstreit sorgte für große Aufregung:
Christian Stramberg, der Koblenzer Journalist, thematisierte
ihn im Rheinischen Antiquarius des Jahres 1844 und berichtete von der Steinigung des jüdischen Religionslehrers
Jacob Tobias Schatz aus Bialystok, der nach polemischen Streitigkeiten
innerhalb der jüdischen Gemeinde von Immendorf am 17. Mai 1844 abends spät zwischen
Arenberg und Immendorf von Christen sterbend aufgefunden worden sei.
Offensichtlich waren die Streitigkeiten um die
rechte Lehre – orthodoxe gegen reformierte Richtung - so groß, dass es zwischen
1848 und 1889 über mindestens 40 Jahre
keinen gewählten Synagogenvorsteher am Ort gab. Erst 1907 ist erstmals wieder
ein Synagogenvorsteher namens Heymann Michel aktenkundig erwähnt.
- 1845 erhielten die Juden zwar in der Preußischen Gemeindeordnung das Bürgerrecht, dennoch musste noch immer Schutz über die Bürgermeisterei beantragt und genehmigt werden, wie es z. B. der jüdische Metzger und Viehhändler Jakob Heilbrunn zuerst für Arenberg, dann für Arenberg oder Immendorf versucht hat. Die Gemeinderäte beider Orte lehnten 1853 sein Gesuch zunächst ohne nähere Begründung ab. - Später wurde es allerdings wohl doch genehmigt. Ob aus Einsicht oder auf behördlichen Druck hin, ist nicht überliefert.
- Um 1850 herum gab es wohl auch die größte verbriefte Anzahl jüdischer Bewohner. In Immendorf wurden 53 Einwohner jüdischen Glaubens, in Arenberg 14 gezählt.
- Gegen Ende des 19. Jh. verringerte sich deren Zahl wieder. Pfarrer Kraus listete in seinen Sendprotokollen, die von Zeit zu Zeit auch die Bevölkerungszahlen spiegelten, für Ende 1877 in Arenberg 10, in Immendorf 24 „Juden und Protestanten“ auf, wobei die Zahl der Protestanten zumindest in Immendorf stets wesentlich geringer war als die der Juden.
- In den amtlichen Zahlen der Bürgermeisterei Ehrenbreitstein von 1905 waren für Immendorf von 564 Einwohnern 16 jüdische und für Arenberg von 663 Einwohnern 12 jüdische verzeichnet.
- Clemens Theis überlieferte, dass die Juden in dieser Zeit zumindest in Immendorf wohl ein gewisses Ansehen erlangt hatten, denn Fräulein Herrig, die Lehrerin, wies wohl die Kinder zurecht, die über die auffällige Sabbatkleidung der Juden spotteten.
- Die Gemeinderäte beider Orte beschlossen 1907 auch jeweils einen Zuschuss zur Reparatur der kleinen Synagoge. Im Beschluss von Immendorf wurde daneben auch noch anerkannt, dass sich die Juden von Arenberg und Immendorf „seit jeher“ an den Kirchenlasten der Bürgergemeinde beteiligten. Es scheint sich also zu Beginn des 20. Jh. ein mehr oder weniger normales Mit- und Nebeneinander von Christen und Juden eingespielt zu haben.
- Dies änderte sich freilich bereits ab den 1920er, besonders aber in den 1930er / 1940er Jahren wieder.
- In der Folgezeit des 1. Weltkrieges bereiteten die Nachkriegswirren mit Besatzung, Reparationsleistungen, Separatistenbewegung, Weltwirtschaftskrise, aber auch unterschwellig latent vorhandenem Antisemitismus nach und nach den Boden für erneute Ausgrenzung der jüdischen Bewohner hier wie überall im deutschen Reich.
- Man suchte „Sündenböcke“, die nicht nur durch entsprechende Zeitungs- oder Radioberichte, sondern auch über subtil weiter getragene Hetzparolen zu Opfern dieser Stimmungsmache wurden. Und man fand diese Sündenböcke u. a. und zuallererst in den Juden. Die Wirkung der widerlichen Machenschaften reichten von anfänglichen Judendiskriminierungen bis hin zu ihrer späteren Ermordung während der Zeit des Nationalsozialismus – und dies alles unter den Augen aller.
- Gleichgültigkeit und Angst, die Unfähigkeit, das Sichtbare einzuschätzen, vielleicht sogar hie und da die Überzeugung von der Richtigkeit dessen, was da geschah, machte aus ehemaligen Nachbarn viel zu oft ängstliche Wegseher, neugierige Zuschauer oder sogar Mit-Täter - nie aber Unbeteiligte.
- Nur ganz selten gab es Mutige, die das mit der Zeit sichtbare Elend der jüdischen Nachbarschaft aufzufangen halfen. Und selbst die, die nicht vom Nazi-Bazillus infiziert waren, trauten sich meist nicht, Stellung zu beziehen oder tätige Hilfe zu leisten, aus Angst, selbst in die Mühlen der Nazi-Diktatur zu geraten.
- Auch in Arenberg und Immendorf setzten spätestens die Nürnberger Rassengesetze ab 1935 dem mehr oder weniger „normalen Alltag“ jüdischer Menschen ein grausames Ende. Nach und nach „verschwanden“ die jüdischen Nachbarn.
- Einige versuchten, nach hastigem Verkauf ihrer Habe auszuwandern, mindestens einer setzte seinem Leben selbst ein verzweifeltes Ende, andere wurden deportiert und ermordet, von einigen verliert sich jede Spur.
3. Die Familie Michel („Die Mosesjer“)
Am Dorfplatz in Immendorf, damals Hauptstraße 25, stand bis um 1960 das Haus der Familie Moses Michel. Ihr Vorfahr Moyses Michel gehörte zu
den ersten, die 1796 vom Mühlenbacher Lehensherrn, Freiherrn von Wrede, einen
Schutzbrief für die Niederlassung in der Gemeinde Immendorf erhielten.
An die letzten hier lebenden
Nachkommen des Moyses Michel konnten sich alte Immendorfer vor wenigen Jahren
noch gut erinnern, z. B. wenn bei den Geschwistern Michel am Sabbat das Feuer
ausgegangen war und eine der Nachbarinnen gebeten wurde, es wieder anzuzünden.
Denn ganz nach biblischem Gebot wurde der Sabbat geheiligt und durfte nicht
durch irgendwelche noch so geringfügige Arbeit entweiht werden.
Da es mehrere Familien namens
Michel in Arenberg und Immendorf gab, wurden die Geschwister Michel, um Verwechslungen zu
vermeiden, nach dem Vornamen ihres Vaters allgemein „die Mosesjer“ genannt. Ihre Eltern, Moses Michel
(1844-1929) und seine Frau Fanny (1846-1914), hatten insgesamt acht Kinder. Zur Zeit der Deportationen im Raum
Koblenz lebten noch fünf der Geschwister Michel in Immendorf.
Hier seien alle acht Geschwister kurz vorgestellt:
- Eva *14.02.1871, die
Älteste, übernahm nach dem Tod der Mutter den Haushalt und umsorgte ihre
ledigen Geschwister.
- Emma, *01.02.1875, wegenihrer Körperfülle als „dicke Emma“ bezeichnet, gab angeblich den
Ton in der Familie an. Über ihren Verbleib gibt es keine Angaben.
- Ferdinand, *26.10.1879.
Er war Viehhändler wie sein Bruder Adolf und wahrscheinlich nach dessen Tod der
einzig verbliebene Ernährer seiner Geschwister.
- David,
* 30.4.1887 bereits im Alter von einem Jahr am 19.5.1888 verstorben.
In den Unterlagen über den Verbleib der nach Izbica deportierten Geschwister heißt es für Ferdinand, Salina und Rosalia Michel lapidar: „Durch rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts vom 15.3.1949 für tot erklärt. Als Zeitpunkt des Todes ist der 1. Juli 1943 festgestellt.“ Von Eva, der ältesten Schwester, heißt es, sie sei wahrscheinlich in Sobibor ermordert worden. Das gleiche wird von Hermann Michel berichtet.
Für
die in der Steinschule eingesperrten Menschen begann die letzte Nacht vor dem
Transport. Die Unterbringung in der Turnhalle war armselig, die Gestapo hatte
gerade einmal Stroh besorgt, damit sie nicht auf dem blanken Steinboden
nächtigen mussten.
Am
nächsten Tag, es war ein Sonntag, wurden die Juden von den Gestapo- und
SS-Leuten zum Abmarsch angetrieben. Sie nahmen die ihnen gelassenen
Habseligkeiten und marschierten familienweise in Richtung Bahnhof Lützel.
(...) (Zitat-Ende)
3. a) Was passierte nach der Deportation mit den Wohnungen / Häusern der Deportierten?
Da in der GeStaPo-Liste für alle 7 mit dem 1. Transport deportierten Immendorfer Juden die Hauptstraße 25 als letzter Wohnort angegeben ist, wurde möglicherweise die ehemalige Wohnadresse von Hermann, Sybilla und Helga Michel, die Hauptstr. 73, bereits vor der Deportation arisiert und die Bewohner in der Hauptstraße 25 bei den Geschwistern Michel mit einquartiert.
Für dieses Haus heißt es in Quellen des Stadtarchivs Koblenz: (…) Weitervermietung des von der Gemeinde Immendorf von der Reichsfinanzverwaltung angemieteten Hauses Michel, Hauptstraße 25, zum 1.12.1942 (…) (Zitat-Ende)
Mit anderen Worten: Die leer
gewordenen Häuser und Wohnungen wurden oft sehr schnell ins Volkseigentum
überführt. Und da in den allermeisten Fällen keine Hinterbliebenen Ansprüche
stellen konnten, blieb es oft auch dabei.
4. Familie Michel aus Arenberg („Lepolds“)
Auch die Familie Leopold Michel (daher der Rufname „Lepolds“) gehörte zu den Nachkommen des alten Moyses Michel, der im Jahr 1796 einen der ältesten Schutzbriefe für Immendorf erhalten hatte. Die letzte Generation waren also Großcousins und –cousinen der „Mosesjer“ aus Immendorf. Das Haus der Familie wurde Anfang der 1950er Jahre abgerissen und durch einen Neubau ersetzt (Pfarrer-Kraus-Str. 105).
Konrad Weber
aus Arenberg erinnert sich an folgende Begebenheit aus seiner Kinderzeit und notiert auf seiner Internet-Seite u. a.:
(...) „Die jüdische Bevölkerung bekam 1942 keine Lebensmittelkarten mehr. Aus
Mitleid schickte mich meine Großmutter mit Kartoffeln, Lauch, Möhren und
dergleichen zur Frau Michel, damit sie eine Gemüsesuppe für ihre hungernde Familie
kochen konnte. Das war aber von den Nazis strengstens untersagt. (…) Frau Michel war um die 70 Jahre alt.
Überliefert ist das folgende kleine Gedicht, in dem Jeanette, gen. Settchen Michel, einen Übergriff Arenberger Hitlerjungen beschreibt, die Steine in ihr Fenster warfen:
"Uns
Erna war am stricken,
uns
Jenny war am flicken,
uns
Bernhard las die neuste Nachrichten,
un
ich wusch mir mei Füß.
Da
kam so a Wacker durchs Fenster
üwers
Gestrickte, üwers Geflickte,
üwer
Bernhards neuste Nachrichte
direkt
vor mei Füß..."
( Konrad Weber: Die Schilderung stammt m. W. aus 1940-41)
An der Stelle des
Hauses dieser Familie Michel waren ursprünglich vier "Stolpersteine"
geplant, von denen bisher allerdings nur einer für die Mutter Jeanette
realisiert wurde.
Sie und drei ihrer vier Kinder - Albert, Jenni und Bernhard - sind dem
Holocaust zum Opfer gefallen. Tochter Erna konvertierte zum Christentum,
heiratete Franz Peter Linden aus Moselweiß und wanderte 1949 nach Israel aus.
5. Ein etwas besseres Schicksal traf die
Ein Urenkel von Oster Michel, dem
Bruder von Moses Michel, war Sally Aron, der in der heutigen Ringstraße 17
(Hauptstr. 5) eine kleine Metzgerei betrieb. Sally Aron und seiner Familie ist
es gelungen, sozusagen in letzter Minute aus Deutschland zu fliehen. Er stellte
am 26.11.1937 den Antrag, auszuwandern, verkaufte sein Haus an den
Elektriker Kilian und veräußerte sein Mobiliar, um mit dem Erlös die hohen Auswanderungskosten und den Neuanfang
in den USA zu finanzieren.
Der Sandfahrer Peter Müller half
mit seinem Pferdefuhrwerk bei der Flucht. Per Schiff ging es am 15. Juni 1938 von
Rotterdam aus in Richtung Vereinigten Staaten von Amerika.
Nach den Polizeiakten wurde in Koblenz am
10.08.1939 die Ausbürgerung
beantragt, die am 14.02.1940 amtlich besiegelt wurde. Damit verfiel evtl. hier
noch verbliebenes Vermögen der Familie
Aron dem Staat.
Sally Aron (48) kam mit seinerFamilie, der 84 Jahre alten Mutter Karoline, Ehefrau Selma (40) und den halbwüchsigen
Söhnen Siegfried (17) und Lothar (15) in Chicago/USA unter und konnte dort
zunächst ein Lebensmittelgeschäft eröffnen.
Frau Selma schrieb im Jahr 1947, also neun Jahre nach der Flucht, einen langen
Brief an ehemalige Immendorfer Nachbarn, in dem sie ihre neuen Lebensumstände
sehr anschaulich und positiv schilderte und sich sehr liebevoll nach ehemaligen
Freunden und Nachbarn erkundigte.
Nachdem der älteste Sohn Siegfried – mittlerweile Fredy genannt - seinen Kriegsdienst in den USA abgeleistet hatte, eröffneten Vater Sally und Sohn Fredy Aron wieder eine Metzgerei, dieses Mal in Chicago. Der jüngere Sohn Lothar – mittlerweile Larry genannt - wurde Konditormeister und betrieb in Los Angeles eine Konditorei mit Torten und Feingebäck, bevor er im Alter ins Rentnerparadies Florida umsiedelte.
Beide Söhne besuchten Koblenz und auch Immendorf noch einmal, Siegfried 1973 privat und Lothar 1992 auf Betreiben der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit. Sie trafen sich mit ihren ehemaligen Klassenkameraden aus Kindertagen und hatten sicher viel zu erzählen.
Es ist gut zu wissen, dass es wenigstens einigen wenigen gelungen ist, dem Tode zu entkommen und ein neues Leben aufzubauen.
- Theis, Clemens, 1996,
Sie lebten in unserer Mitte - Spuren jüdischen Lebens in Immendorf und Arenberg
- Stadtarchiv Koblenz, Residentenliste jüdischer Einwohner
von Koblenz, Stand 14.02.2017 (StAK DB 6)
- Hennig, Joachim, Unterlagen aus Privatarchiv
- Böckling, Manfred, Skript für Koblenzer Gästeführer zur Geschichte der
Stadt Koblenz
- ITS-Archiv Bad Arolsen, Deportationsliste vom 22.03.1943 und
Auszug zu Eva Michel aus den Akten der GeStaPo Koblenz
- Weber, Konrad, Internet Seite www.Arenberg-info.de
Herzlichen Dank an alle Personenund Institutionen, die mit Unterlagen und Informationen
zum Zustandekommen dieses Artikels beigetragen haben.
Elfriede Böhm
Stand: 11.02.2020